„Es muss was Wunderbares sein“

Die Operette „Im weißen Rössl“ am Pfalztheater Kaiserslautern


Von Gerd Kowa


Leichte Kost, bestechend verpackt: Holger Potockis Inszenierung von Ralph Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“ am Kaiserslauterer Pfalztheater war eine große Freude für das Publikum und überzeugte auch künstlerisch. Potocki entschied sich generell für Schönheit: für tragikomische Szenen, heftige Bewegungen, straffes Temperament, Liebe im Blut, fetzige Rhythmen, Feuer in Füßen und Beinen und hymnisch-einfache Lieder und Chorsätze.Im Sommer ist das Wasser auch in Österreich warm, der Himmel blau und die Seele reif für schönste Wanderungen durch schönste Gedanken. Die wunderbar temperamentvolle Briefträgerin Kathi (Christina-Mirl Rehm) tritt vor einer Wand mit drei Türen, drei Herzchen und einer Kuh mit der Aufschrift „Weißes Rössl“ auf. Da hat die Kuh den Gaul geschluckt. Unglaublich. Wieder einmal versucht Kathi, so schön zu singen, so toll wie die Netrebko in Salzburg. Da huscht eine grüne Kugel auf Füßen über den Bühnenweg und stört die Arme. Es ist Piccolo (Pascal Brun), der ständig in einem fetten grünen Froschkostüm durch Hotel und Gras trippelt. Leopold (Mario Podrecnik) und Josepha (Astrid Vosberg) rasen vorbei und streiten sich. Kathi haut ab.Die rotbraune Wand vor dem Orchestergraben fährt darauf samt weißer Kuh nach oben und macht die Bühne frei. Was für ein herrlich bunter Anblick: Der märchenhaft kostümierte Opern-Chor und die Tänzer singen, was alle kennen und lieben: „Im weißen Rössl am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür“. Natürlich fehlt später auch nicht „Im Salzkammergut, da ka’ mer gut lustig sein“. Lieder wie „Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich in deine Augen schau“ oder „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ gehören dann aber meist Solosängern.


Und wieder einmal freut man sich über das Können der Kaiserslauterer Sänger. Auf der Rössl-Piste überzeugen außer den bereits Genannten auch Arlette Meißner als Ottilie, Daniel Böhm als Siedler, Günther Fingerle als Sigismund und Alexis Wagner als Hinzelmann. Kaiser Franz Josef I. (Klaus Hesse) dagegen muss nicht singen. Er predigt nur und heilt alle armseligen Seelen. Chorleiter Ulrich Nolte hat alle Sänger muntergemacht und ihre Stimmen so laut, dass Dirigent Rodrigo Tomillo mit dem tollen Orchester die Opernstimmen verdammt knallig überstimmte.


Langsam und hintereinander kommen schließlich die Siedlers und Gieseckes aufs gepflegte Rasenparkett des Hotels. Und schon gibt es Reibereien wegen gestohlener Zimmernummern. Ach, wie spießig. Die Herren tragen dazu denn auch brave Bürgeranzüge. Das war wahrscheinlich die Idee der Kostümmeisterin Lena Brexendorff, des Choreographen Christopher Tölle und hauptsächlich des Regisseurs Holger Potocki.


Seine Inszenierung gefällt gerade dadurch, dass sie das Stück nicht überhöht. Er hätte ja durchaus berücksichtigen können, dass Benatzkys Singspiel einen sozialen und politischen Hintergrund hatte. Benatzki litt bereits in den 1920er Jahren unter den Nazis und der damaligen Finanzkrise. Im Jahr 1930 saßen die Zuschauer sehr bewusst im Theater. Und haben seither ihre armen Zeiten mit diesen Schlagern verbunden. Für eine 82 Jahre alte Operette ist „Im weißen Rössl“ im Ganzen eben vor allem ein hervorragender Lieder- und Schlager-Abend. Das ist es auch in Kaiserslautern.


Wer möchte, kann aber auch im Zusammenspiel aggressiver Figuren und schreckhafter Schüchterlinge und vor dem Hintergrund unserer eigenen derzeitigen Krisenstimmung das feinsinnige Angebot sehen, über unsere Zeit und das eigene Ich nachdenken zu können. Man kann auch im Theater kreative Selbstbespiegelung vornehmen.

Pressespiegel                                                                                       Spielzeit 2012/2013

Frank Herkommer für www.opernnetz.de vom 16. November 2012

Da lacht die Kuh

Was tun mit einer Operette, deren Lieder so unsterblich wie die Handlung sterblich langweilig ist? Weil die Älteren unter den Liebhabern der leichten Oper das Geschehen in und auswendig kennen, Waltraud Haas und Peter Alexander erscheinen vor angefeuchteten Augen, da warn wir noch jung, während die heute jungen Theaterbesucher den glatten Schluss, jeder kriegt jede, eigentlich nicht durchgehen lassen.

Man inszeniere so unverschämt frech, spritzig, ironisierend, ohne zu karikieren wie Holger Potocki. Ein irrer Drive, die Gäste kommen und gehen, mitten unter ihnen ein Hochzeitspaar, dessen Begattungsfreude nicht gestört werden möchte, der Bräutigam mit gerollten Ohren, die man aus Shrek,dem Animationsfilm kennt. Nie weiß man, ob die Protagonisten zur Inszenierung des Themenhotels gehören oder die Rolle interpretieren, auf den Arm nehmen, die ihnen Benatzky zugedacht hatte. Jede Figur wird ausgeleuchtet, der Kaiser ist auch Beckenbauer, der in amerikanischer Manier ewig sein Berlin verherrlichende Fabrikant Giesecke freut sich auf sein Bergsteigerprogramm an der Kletterwand. Er verwechselt dudeln mit dödeln und greift in Haiderland dem Ober an den drallen Po. Ottilie, die auf Punk steht, könnte auch Nina Hagen sein. Siggi, ein Sporturlauber, der die Perücke lüftet. Piccolo wandelt mal als Kermit, mal als Spongebob über die Bühne, Professor Hinzelmann schwankt zwischen Doc Brown und Einstein. Im harmlosen Ober, der nicht verzichten kann, steckt ein Dominator, dessen Machismo Piccolo handfest zu spüren bekommt, dessen archaische Gewalt Frau Wirtin erschreckt und erotisch erschaudern lässt. Thomas Bernhard hätte seine Freude gehabt an dieser subtilen Anspielung auf österreichische Befindlichkeiten. Nichts ist fertig, es wird noch gestrichen im Weißen Rössl, als der Bus bereits eintrifft. Augenzwinkernde Anmerkungen zur Gegenwart, der Staub ist weggefegt, die Langweile vertrieben, das Spektakel amüsiert Jung wie Alt. Und über allem schwebt die Kuh, bei der jeder rätseln soll, für welches Thema sie Modell gestanden haben könnte. Nicht einmal der Kaiser kennt die Antwort. Brechungen der subtilen Art. Statisten, die sich gewollt im Chor verlieren, sich zwar der Choreographie anschließen können, aber nicht den Text beherrschen.

Das Bühnenbild von Thomas Dörfler ideal. Viel Alpenland, Wolfgangsee, viel verschiebbare Kulisse, die ständig chargieren lässt zwischen drinnen und draußen. Die Kopfhaltung der Spielenden entscheidet, wer hinauf, wer herunter spricht. Die Kostüme von Lena Brexendorf heutig, bunt, vielfältig, kreativ und unglaublich witzig.

Rodrigo Tomillo dirigiert das Orchester des Pfalztheaters mit Leidenschaft und Einfühlungsvermögen. Der Chor, wie immer von Ulrich Nolte gut eingestimmt, sprüht vor Spiellaune, von Choreograph Christopher Tölle bestens aufgestellt.

Astrid Vosberg lässt schnell die filmische Vorlage vergessen. Eine Josepha Vogelhuber, die eher an eine gestresste Managerin erinnert, die auf der Klaviatur der Emotionen spielt und mit ihrer Stimme versteht, Charakterzüge zu zeichnen. Auf dem selben hohen Niveau Mario Podrecnik als Zahlkellner Leopold Brandmeyer, herrlich aufdringlich, differenziert, wenn eine Dämonie sichtbar wird, die im simplen Kellner steckt. Alle Gassenhauer wirken aus seinem Mund wie neu arrangiert. Thomas Kollhoff ein herrlich komödiantischer Giesecke, mit sonorer ansprechender Stimme. Arlette Meißner singt Operette, spielt Boulevard, beides sehr erfolgreich als Töchterchen Ottilie. Daniel Böhm, singt die Titelmusik so einfühlsam, dass man am liebsten aufbrechen möchte an den Wolfgangsee. Als Dr. Siedler anpassungsfähige Idealbesetzung. Köstlich die Interpretation des Sigismund Sülzheimer durch Günter Fingerle , die berühmte rhetorische Frage in der Sauna, ein flotter Tänzer dazu, der mit Klärchen über die Bühne fegt. Gesungen und gespielt von der lispelnden Monika Hügel, die ihr Rolle irre komisch ausfüllt. Beide überzeugen spielerisch und gesanglich. Peter Floch gibt auf ergötzliche Weise den weltfremden Professor Dr. Hinzelmann, Klaus Hesse ein Kaiser zwischen jovialem, gönnerhaftem Wohlwollen und ersten Altersgrenzerfahrungen. Kathi bekommt von Christina-Mirl Rehm Gesicht und ansprechende Stimme, das Publikum wartet schon sehnsüchtig auf ihren nächsten Einsatz, wenn sie im feschen Dirndl nicht nur den Bauarbeitern den Kopf verdreht und mit ihren Jodelversuchen die Finger in die Ohren sausen lässt. Andrea Zabold und Hae Sung Park lösen als Hochzeitspaar Lachsalven aus. Die Schülerin Konstanze Wagner zeigt einmal mehr ihr großes Potential, sie spielt den Piccolo mit jugendlicher Unbekümmertheit und erstaunlicher Souveränität. Felicity Hader mit dem Wunschholz im Arm sprechend eine Reiseführerin der besonderen Art.

Das Publikum ist außer sich. Die, von denen man es bei dieser mutigen Inszenierung am wenigsten erwartet hätte, am meisten. Endlich, so der allgemeine Tenor, eine Operette, bei der nicht einmal der Sekundenschlaf eine Chance hat. Man wird dieses Rössl lieben oder man wird es hassen, meint Kostümbildner Michael Zimmermann, der als Gast im Parkett sitzt. Die Lautrer lieben es, wie der stürmische Applaus unterstreicht.

 

 

Frank Herkommer

Zwischen Ironie und Revue

Operette „Im Weißen Rössl“ feiert am Pfalztheater Premiere und kommt beim Publikum gut an


Am Ende lagen sich auf der Bühne die Pärchen in den Armen und im Publikum bewunderten selbst die dem Genre weniger zugeneigten Theaterbesucher, was man aus einer verstaubten Operette alles machen kann. Nur eine Frage blieb bei der Premiere von „Im weißen Rössl“ am Samstagabend im Pfalztheater unbeantwortet: Was hat die Kuh im Emblem des Gasthofs mit dem „Rössl“ zu tun?„Ich wusste nicht, dass die Hauptperson eine Kuh ist“, spottete bei der Premierenfeier denn auch Michael Krauß. Der Vorsitzende der „Freunde des Pfalztheaters“ musste befürchten, mit dem traditionellen Dankeschön für die Mitwirkenden dieses Mal komplett daneben zu liegen. Dem war dann doch nicht so – die weißen Schokolade-Rössl waren schon richtig.Mit einer flotten Inszenierung von Ralph Benatzkys Erfolgsstück „Im weißen Rössl“ kann das Pfalztheater beim Publikum punkten. Davon sprach der lange Schlussapplaus und auch die Meinung von Premierengästen, die die RHEINPFALZ nach ihren Eindrücken fragte.


Diana Dietrich hatte das „Rössl“ bisher noch nie gesehen. „Mein Mann hat immer gesagt, in so einen Quatsch gehen wir nicht“, gestand sie lachend. Von der Inszenierung am Samstag waren beide dann „total begeistert“. Sie sei sonst ja eher ein Opernfan, räumte auch Inge Stranz ein: „Aber das war sehr gut gemacht, eher wie eine Persiflage.“


Als „am Rande vom Original originell inszeniert“ beurteilte Manfred Petry die Pfalztheater-Inszenierung. Mit dem Rössl assoziiere man zunächst das Nostalgische; er habe ein wenig Zeit gebraucht, sich darauf einzustellen, so der Stellvertreter des Bezirkstagsvorsitzenden. Seinen persönlichen Saisoneinstieg mit der leichten Muse empfand er als kurzweilig und unterhaltsam, zumal: „Wenn man so viele bekannte Melodien hört, summt man unwillkürlich mit.“


„Eine schöne Unterhaltung, die einen den Alltag etwas vergessen lässt“, lobte die Kulturdezernentin der Stadt, Bürgermeisterin Susanne Wimmer-Leonhardt.


Die weiblichen Partien seien hervorragend besetzt, gesanglich alles stimmig, urteilte Lothar Lukoschek: „Die Füße wippen mit, man kennt die Melodien, wahrscheinlich weil man den Film ,Im weißen Rössl’ als Kind gesehen hat.“ Allerdings habe er die Szenen vor der Pause, in denen sich alles Geschehen erst entwickelt habe, als die schmissigeren empfunden. Anerkennung zollte er dem „Zimmermädchen“ (Christina-Miri Rehm). Ihr sei es tatsächlich gelungen, das Publikum zum Mitsingen zu bewegen. Ehefrau Bettina Bachem-Lukoschek missfiel an der Inszenierung lediglich der „krampfhaft aktuelle Bezug“ zu „Kaiser“ Franz Beckenbauer.


Bei der Premierenfeier war Intendant Urs Häberli zuversichtlich, dass das Pfalztheater-Rössl – „eine Gratwanderung zwischen Revue und Ironie“ – ein vielversprechendes Zeichen dafür ist, dass Alt und Jung einen Zugang dazu finden. Für seine großartige Mitwirkung hätte er eigentlich das Publikum auf die Premierentreppe einladen sollen, so der Intendant. Stellvertretend bat er stattdessen den kompletten Chor, der ins „Rössl“ nicht nur die Stimmen einbringt, sondern auch tanzt, dorthin. Ensemblemitglieder in ungewöhnlichen Rollen – unter ihnen Bass Alexis Wagner als Fußballfan, Chormitglied Christina-Miri Rehm als jodelndes Zimmermädchen – gratulierte Häberli ebenso wie Chefmaskenbildnerin Dagmar Häuser für die Kreation von Glatzen und Perücken.


Regisseur Holger Potocki bescheinigte der Intendant einen Sinn für Humor, Leichtigkeit und Tempi. „Rössl-Wirtin“ Astrid Vosberg holte er mit den Worten vors Publikum: „Es gibt nur eine Rössl-Wirtin: Du bist sie.“ (krh) KULTUR

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