Wille zur Vergebung

Pfalztheater Kaiserslautern: Urs Häberli inszeniert Walter Braunfels' Bekenntnisoper „Verkündigung”


Von Sigrid Feeser


Eine musikalische Entdeckung: Das Pfalztheater Kaiserslautern zeigt die erste szenische Aufführung von Walter Braunfels' Oper „Verkündigung” seit 64 Jahren. Der künftige Intendant Urs Häberli inszenierte, Generalmusikdirektor Uwe Sandner dirigierte die Produktion des komplexen Stoffes.


Für Walter Braunfels (1882 - 1954) war 1933 eine brutale Zäsur. Gleich nach der Machtergreifung der Nazis wurde er aus dem Amt als Direktor der Kölner Musikhochschule gejagt und mit Berufsverbot belegt. Der erklärte Regimegegner zog sich tief gedemütigt zurück. Zwischen 1933 und 1936 komponierte er eine musikalische Antwort auf die ihm auferlegten Zumutungen: das Mysterium „Verkündigung” nach Paul Claudels Schauspiel „L'Annonce faite à Marie”. Uraufgeführt wurde Braunfels' Bekenntnisoper 1948 in Köln.


Die Uraufführung soll nur mäßig erfolgreich gewesen sein, trotz zum Teil enthusiastischer Kritiken. Auch blieben danach teils prominent besetzte konzertante Aufführungen ohne größere Resonanz. Nach der Kaiserslauterer Premiere kann man das schon verstehen. Nicht, weil Braunfels' Musik belanglos oder gar veraltet wäre - im Gegenteil. Die Partitur ist einzigartig in ihrer Verbindung von Tradition (Wagner, Pfitzner, Romantik) und nicht mehr so ganz moderner Moderne (französischer Impressionismus). Die Crux des Stückes und mögliche Begründung des zögerlichen Zugriffs der Opernhäuser liegt im Libretto mit seinem rigorosen, dogmatisch-unversöhnlichen Katholizismus, in dem sich der existentiell bedrängte Braunfels und Claudel gefunden haben, trotz des vom Komponisten abgewandelten Finales, das nicht wie bei Claudel in einer großen Versöhnungsszene endet, sondern in einer durch ein liturgisch strenges „De profundis” überhöhten Feier des erlösenden Todes.


Das die „Verkündigung” lehrstückartig tragende Motiv des (weiblichen) Opfers, die Frage nach dem Warum des Elends in der Welt, religiöse Inbrunst, Wunderglaube und die Darstellung des Menschen in seiner religiösen Beziehung zwischen Gut und Böse - das alles ist ebenso schwer zu vermitteln wie die musikalisch fulminante Szene, in der die kranke und blinde Violaine an Weihnacht in einer von himmlischen Chören, Glockengeläut und hymnisch gefeiertem Einzug des Königs (in Engführung mit der Geburt des himmlischen Königs) überhöhten Szene das tote Kind ihrer Schwester ans Herz legt und auferweckt, was - in aller Bescheidenheit gesagt - theologisch gewiss hoch bedenklich, gleichwohl ein musikalisches Meisterstück ist. Und wenn die tote Violaine mit dem wiederbelebten Kind an der Hand nach hinten in ein weißes Nichts schreitet, ist das schon hart an der Grenze des Zumutbaren - und an der zum Kitsch.


Wie inszeniert man das? Urs Häberli hat sich für einen von Bühnenbildner Thomas Dörfler in ein Gittergehäuse gestellten Schlafsaal entschieden. Links vier Betten hintereinander, rechts vier Betten sind zwar kein ganz neues, aber sauberes Arrangement, das immer leicht variiert für Klarheit in den nicht unkomplizierten Abläufen sorgt. Die im Zeitgenössischen vagabundierenden Kostüme von Marcel Zaba und die Lichtdramaturgie von Manfred Wilking fügen sich nahtlos ein. Manches, wie der Auftritt der mit Blindheit (oder wenigstens mit Blindenbrillen) geschlagenen, herumtapernden Protagonisten bleibt rätselhaft, sieht aber, zumal Häberlis Personenführung tadellos ist, doch gut aus.


Musikalisch hat die Aufführung ihre Meriten, geriet zum überzeugenden Plädoyer für Braunfels' Partitur und ihre Interpreten. Uwe Sandner dirigierte das präsent reagierende Orchester zügig, mit fast soghaft anmutender Dringlichkeit. Auch nahm er sich viel Zeit für die leisen Stellen, schuf ausgedehnte lyrische Inseln. Die Chöre (auf den Punkt einstudiert von Ulrich Nolte) waren machtvoll und schlagkräftig zur Stelle. Dazu eine in sich geschlossene und mehr als nur verlässliche Ensembleleistung, allen voran Adelheid Fink, die als Violaine mit hoch gespanntem, auch in den innigen Passagen fast glühendem Sopran an eine Idealbesetzung herankommt, dann Melanie Lang, die der bösen Schwester gutes Profil gibt, Bernd Valentin als kerniger Jakobäus und Steffen Schantz als mit seinen Tenorpfunden wuchernder Peter von Ulm. Typgerecht Alexis Wagner und Helena Köhne als Vater und Mutter, anrührend Elena Laborenz' Stimme eines Engels, ansprechend besetzt die kleinen Partien. Großer Applaus für ein nicht ganz unproblematisches Werk am Ende.