www.opernnetz.de vom 10. Mai 2011


Das Licht der Wahrheit



Die Finsternis der nationalsozialistischen Weltanschauung lag  über Deutschland, als Braunfels, bis zum Berufsverbot einer der meistgespielten Komponisten der Weimarer Republik, seine Oper verfertigte, das Libretto nach dem Schauspiel  L'Annonce faite à Marie von Paul Claudel. Der Komponist im inneren Asyl, zurückgezogen an den Bodensee, noch vor den Nürnberger Rassegesetzen, die den katholischen Konvertiten als Halbjuden einstufen und vom Kulturbetrieb ausschließen werden.  In der Gewissheit, dass die Menschen nach geistiger Währung fragen würden, nach dem Krieg, den er voraussah, und dem damit verbundenen unvermeidlichen  Untergang des so genannten Dritten Reiches.  Den Mythus des 20. Jahrhunderts würde es in einer weiteren, voraussichtlich zähen Schlacht zu besiegen gelten. Christus statt Rosenberg, Katholizismus gegen Faschismus. Es ist der Opfermythos, den beide Weltaneignungsmodelle für sich reklamieren und der konsequent im Zentrum der Oper steht. Hier der Faschismus, der die Opferung des Partikularinteresses, dessen der dem westlichen Demokratieverständnis inne-wohnende Individualismus verdächtigt wird,  für die Ansprüche des als Volkskörper definierten Kollektivs verlangt. „Du bist nichts, die Front ist alles“, der Heldentod für Führer, Volk und Vater-land wird als höchste Stufe menschlicher Größe definiert. Das Martyrium Konsequenz der Unterwerfung unter den absoluten Willen eines Führers, statt höchster Ausdruck der Freiheit. Als Gegenmodell sowohl zum säkularen  als auch zum totalitären Ansatz stellt der Katholizismus das Märtyrertum als höchste Seinsvollendung des Individuums in den Raum des Intelligiblen, das alleine der offenbarten Wahrheit und der Agape, der selbstlosen, aus dem Glauben erwachs-enen Liebe verpflichtet ist. Ein Libretto, das einer Bibelkundeprüfung zur  Vorlage dienen könnte, gespickt mit alt- und neutestamentlichen Zitaten, mit ultramontanistischer Theologie auf der Höhe der damaligen Zeit.  Das heute so wenig auf geschulte Ohren trifft wie 1948 bei der Urauf-führung vor  einer desillusionierten, allen Heilsversprechen gegenüber misstrauischen Hörer-schaft.

Der Bedarf an geschlossenen Sinnsystemen hat sich seither eher weiter verringert. Darin besteht eine vergleichbare Situation zu 1948, vor die sich Regisseur Urs Häberli in einer säkularen, postd-ogmatischen Gesellschaft gestellt sieht.  Ein Mystizismus kommt zur Darstellung, der  nur noch bei Hardcorekatholiken wirklich Verständnis und Begeisterung hervor ruft, die augustinisch an-mutende Ontologie wirkt wie eine Philosophie von einem anderen Stern. Eine Heiligenge-schichte wie sie katholischer nicht sein könnte, mit der sühnenden und versöhnenden Kraft der Vergebung einer Frau, der Gewalt angetan wird, mehr als einmal, die nicht das Glück einer Hildegard von Bingen hat, Eiter zu trinken, ohne sich bei den Aussätzigen zu infizieren. Ein Kuss als biblisch gebotenes Zeichen der Vergebung und schon trägt sie, Christus nachfolgend, die  Krankheit, die als Strafe auf Peter von Ulm liegt. Der konsequent vom Aussatz genesen wird. Eine Weihnachtsgeschichte der besonderen Art, wenn die Menschwerdung Gottes in der Wieder-geburt ihrer Nichte Fleisch wird, der kleinen Tochter ihrer Schwester Mara, deren aramäischer Namen für die Bittere steht. Das Kind der Liebe mit neuen Augen, in denen sich die verworfene leibliche Mutter nicht wieder erkennt.

Häberli, unterstützt von Dramaturg Andreas Bronkalla, wählt klugerweise den säkularen Ansatz. Er erstellt Psychogramme, in denen die Reinen die wahren Aussätzigen sind, die Sehenden die Blinden, die Blinde die Sehende. Nur sie und der aus der Kraft ihrer Vergebung an Leib und vor allem Seele gesundete Bauherr des Domes von Speyer können das Licht der Wahrheit sehen.  Vielleicht hätte es genügt, diese Botschaft punktuell einzustreuen, wie in der genialen Szene, als der vermeintlich betrogene Bräutigam Jakobäus mit im Wortsinne blinder Wut reagiert, seine Frau tastend sucht, in jenem Hotel de Dieu, das die Welt letztlich für alle darstellt. Eiserne Betten aus einem Siechenheim füllen das Bühnenbild. Die ganze Welt fällt durch das Raster der Klein-kariertheit. Eingesperrte sind wir, aber das Licht der göttlichen Offenbarung scheint auch durch die scheinbar geschlossensten Mauern. Thomas Dörfler, einmal mehr erstellt er ein Bühnenbild, dessen Ästhetik, Durchdringung der Thematik und Intellektualität überzeugen und ansprechen. Für die religiös gefärbte Lichttechnik, die gekonnt das Licht der Wahrheit inszeniert, zeichnet Manfred Wilking.

Die Kostüme, die Marcel Zaba entworfen hat, zeitgenössisch und damit dem Regieansatz entsprechend, elegant,  bar jeder Verschnörkelungen, mit subtiler Farbsymbolik. Ein Meister des pars pro toto.

Uwe Sandner, der genius loci für die Bergung verfemter Musik, lässt das Orchester des Pfalz-theaters eine Musik intonieren, die zwischen Klassik und Avantgarde vermittelt, die sakrale Momente neben seelische  Färbungen stellt, und die es verdient, aus der Vergessenheit geholt zu werden. Eine orchestrale Sternstunde. Der Chor, einstudiert von Ulrich Nolte, mit kleinen Einsätzen und sakraler Tiefe.

Was für eine Besetzung! Adelheid Fink wird gefeiert für ihre anmutige und einfühlsame Dar-stellung der Violaine. Wie alle Großen kommt sie über die intensive Darstellung zu einer Gesangsleistung, die vereinnahmt, die der Figur ihre einmalige Stimmfärbung gibt.  Mara ebenso idealbesetzt mit Melanie Lang, die alle Facetten von barmend bis erbarmungslos, raffiniert wie offen bösartig mimisch wie stimmlich einbringt. Steffen Schantz glänzt in der Rolle des Peter von Ulm mit seiner schmeichelnden Tenorstimme ebenso wie Bernd Valentin, der  mit seiner großen, vollen Stimme einen Jakobäus in seiner ganzen Ambivalenz auf die Bühne bringt.  Mit Helena Köhne findet die Mutter eine stimmmächtige Darstellerin, Alexis Wagner als Vater Andreas Gradherz, spricht an in einer Rolle, die seiner Stimmlage, ideal für eine un-dramatische Interpretation, genau entspricht. In den Nebenrollen: Elena Laborenz, die dem Engel mit ihrer Charakterstimme Ausdruck verleiht, Bernhard Schreurs, Radoslaw Wielgus, Miroslaw Maj, Pascal Brun, Naomi Hibi, Idiko Haulis, Dominique Engler, Christina-Mirl Rehm, Jung-Baik Seok. Das Kind spielen abwechselnd in rührender Unbekümmertheit Anastasia und Rosalie Wagner.

Das Publikum, etwa ein Drittel der Plätze bleiben leer, ist begeistert. Ovationen, bravi und standing ovations.  Zu Recht!

 

Frank Herkommer