Die Musik ist ein großer, langer Fluss

Umjubelter Triumph: Das Pfalztheater in Kaiserslautern zeigt erstmals Richard Wagners Oper „Parsifal”


Von Frank Pommer


Je größer die Herausforderung, desto größer das Risiko zu scheitern. Man muss also den Mut von Pfalztheater-Intendant Johannes Reitmeier und Generalmusikdirektor Uwe Sandner bewundern, sich an Wagners Weltabschiedswerk „Parsifal” zu wagen. Doch die Kaiserslauterer Erstaufführung am Samstagabend geriet zum Triumph. Vor allem der Musik. Reitmeiers Regie, die zum Teil beeindruckende Bilder hervorbringt, gibt auf einige der problematischsten Fragen, die dieses Werk auch aufwirft, Antworten, die letztlich nicht ganz zufrieden stellen.


Diese Gralsgesellschaft hat sich im Kontakt mit der Welt eine - salopp ausgedrückt - blutige Nase geholt. Der Klingsor-Schock jedenfalls sitzt tief. Das Entsetzen über den Verlust des heiligen Speers als Machtsymbol ist riesig. Es ist eine Endzeitgesellschaft. Weltabschied ganz wörtlich zu verstehen. Denn man hat sich abgeriegelt, verschlossen gegenüber der Welt. Dem Leben entsagt. Damit auch der Liebe. Und Außen, die Welt, die Fremden, Nicht-Dazugehörigen, das alles ist für diesen die Sexualität verteufelnden Männerbund: die Frau. Doch die anderen, das sind auch die Andersgläubigen - für eine christliche Miliz, die sich die Kreuzzugsphilosophie in eine apokalyptische Zukunftsszenerie gerettet hat. Zu erfahren, dass Kundry eine Medizin für Amfortas aus Arabien mitgebracht hat, löst unter den Gralsrittern höchste Nervosität aus.


Ihre Burg - für die beeindruckende Bühne ist Thomas Dörfler verantwortlich - sieht aus wie der Petersdom zu Rom. Man sieht nur den oberen Teil der Kuppel, und auch diese ist eingerahmt von einem riesigen Kasten, der an jenen gigantischen Sarkophag erinnert, mit dem das Atomkraftwerk von Tschernobyl ummantelt ist. Rauszukommen ist fast unmöglich. Reinzukommen wohl noch mehr. Da müssen schon die Dimensionen von Zeit und Raum aufgehoben, vielleicht sogar vertauscht werden. Große Verwandlung. Abstieg in die Gralsgruft. Wer eben noch schwer bewaffneter Kämpfer im Zeichen des Kreuzes war (Kostüme: Anke Drewes) - ist jetzt Kardinal. Papstfiguren gibt es gleich im Doppel: Titurel und Amfortas. Es dampft der Weihrauch, glänzt der Gral - und Reitmeiers Inszenierung begibt sich in ihrer Konkretisierung auf nicht ganz ungefährliches Terrain.


Denn was in der ersten Gralsszene noch funktioniert, weil mit dem herumlümmelnden, sich in Kirchenbänke fläzenden Parsifal ein Verfremdungseffekt eingebaut ist, wird im Schlussbild problematisch. Durchaus auch, weil so manche Regieanweisung Wagners dann doch etwas zu wörtlich genommen wird. Die Fragwürdigkeit, diese Utopie alleine daran festzumachen, dass der neue Gralskönig Parsifal Kundry nicht nur einführt in diese Gemeinschaft, sondern sie zugleich auch zur kirchlichen Würdenträgerin macht, greift zu kurz. Anders gesagt: Indem man Kundry in Ornat einwickelt, haben die Ritter das Problem ihrer unbefriedigten Triebe natürlich nicht gelöst. Der Ansatz jedenfalls, den „Parsifal” von der Last des Ersatzreligiösen zu befreien, indem man die Gralsszenen wörtlich als Abendmahlsszenen ausstellt, die wesentlicher Bestandteil eines Kunstwerks - also Wagners Oper und eben nichts mehr - sind, funktioniert nur zum Teil. Die Regie versucht zwar herauszustellen, wie sinnentleert, von Innen ausgehöhlt diese Rituale sind, sie bewegt sich aber auf einem schmalen Grat.


Das hat sehr viel mit der Musik zu tun. Die entwickelt einen solchen Sog, eine so suggestive Gewalt, dass beim Zuhören die Zeit wie im Fluge vergeht. Zum Rausch ist es jedenfalls nur noch ein kleiner Schritt, weil es Uwe Sandner am Pult eines phasenweise grandios musizierenden Pfalztheaterorchesters gelingt, einerseits diese Höhepunkte der Riesenpartitur mit Überwältigungsgarantie punktgenau anzusteuern, andererseits so etwas wie einen unwiderstehlichen, den Zuhörer stets mitnehmenden, ja ihn quasi vor sich hertragenden musikalischen Erzählfluss aufzubauen. Von den ersten Takten an entsteht - durchaus in akustischer Doppelung des Bühnenbildes - eine Klangkathedrale von faszinierender Schönheit. Nur hätte man sich mitunter eine optische Brechung auf der Szene als Gegengewicht zur Musik gewünscht - so wie im zweiten Akt mit seinem beeindruckenden Videosequenzen von Werner Zott und einer ebenso witzigen wie sinnlichen Blumemädchenszene.


Der Erzählfluss der Musik ist natürlich auch abhängig von den Leistungen der Solisten, insbesondere vom Sänger des Gurnemanz. Hier konnte man mit Guido Jentjens einen Gast verpflichten, der schlichtweg sensationell war. Dies fängt mit der Textverständlichkeit an und hört mit der spannenden, ja packenden Ausgestaltung seiner langen Monologe noch längst nicht auf. Während Peteris Eglitis einen stimmlich sehr farbenreichen und darstellerisch mitunter aufwühlenden Amfortas gibt, gefällt Wieland Satter als diabolischer Klingsor, der bei aller Boshaftigkeit auch Mitleid erregt. Bleiben noch zwei zentrale Partien: Dass eine so fantastische Sängerin wie Barbara Schneider-Hofstetter ihr Kundry-Debüt am Pfalztheater gibt, ist ebenso ein Glücksfall für das Haus wie der Umstand, die Titelpartie mit Steffen Schantz aus dem Ensemble besetzen zu können. Die große Szene der beiden im zweiten Akt jedenfalls ist ganz große Wagner-Glück.


Termine


3., 11. März, 1., 6., 22. April.

 

 

 

 

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