Der Chor ist der Star

„Carmina Burana” und „Astutuli”: Pfalztheater mit zwei Werken von Carl Orff im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen


Von Heike Marx


Mit seinem Orff-Abend ist dem Kaiserslauterer Pfalztheater eine Produktion gelungen, die Gefühl und Sinne übermächtig anspricht. Der „bairischen Komödie Astutuli” und den populären „Carmina Burana” gibt ein riesiges Personalaufgebot szenische Wucht bei vorzüglicher Präzision im Detail. Das Gastspiel begeisterte im Theater im Pfalzbau.


Schon die schiere Menge der Mitwirkenden und ihr differenziertes Zusammenspiel beeindrucken. Das Pfalztheater hat dazu alle seine Kräfte gebündelt. Roger Boggasch am Dirigentenpult, Intendant und Regisseur Johannes Reitmeier, Ballettchef Stefano Giannetti, der an der Szenografie mitgewirkt hat, Ballett, Sänger, Schauspieler, Chor - alle spielen sich gegenseitig zu in dieser Genregrenzen überschreitenden Produktion. Hauptakteur ist der Chor. Er ist riesig, stimmgewaltig, spielfreudig; ganz im Sinn von Carl Orff, der ihn in beiden Werken zur treibenden Kraft gemacht hat.


„Astutuli” ist als Bühnenstück eine Kuriosität. Der Text in altertümelndem Bayerisch ist formelhaft in Versen geschrieben. Die meisten Passagen sind chorischer Sprechgesang mit Lautmalereien, für einen Opernchor kein Alltagsgeschäft. Es zu meistern, ist umso schwieriger, je größer der Chor ist. Hier füllt er die gesamte Bühne als tumbe, feierfreudige, ländlich deftige Spießermenge. Sie ist zur Vorführung eines Gauklers gekommen, eines „Gaglers”.


Stefan Kiefer mit seiner stummen Assistentin gaukelt der Menge verblüffende Erscheinungen vor, die nur derjenige erblicken könne, der über genügend Witz verfüge. Er macht das so wendig und suggestiv, dass die Genarrten, die alle Schlaue, „Astutuli”, sein wollen, zu sehen glauben, was nicht existiert. Der von den Schlagzeugern des Orchesters des Pfalztheaters instrumentierte Dialog zwischen redegewandtem Verführer und naiver Menge steigert sich bis zum „kokanischen Gewand”, dessen Träger in die Zukunft schauen kann. Zuerst probiert es der Bürgermeister an, dann dürfen alle anderen auch eins haben. Ihre bayerischen Trachten müssen sie dafür ablegen. Der Gaukler verschwindet damit, und die Menge steht in Unterzeug da. „Wir wolln unser Gwand!”, schreit sie und stürmt wütend auf die Zuschauerreihen zu. Der Zorn verraucht schnell, schon ist der Gaukler mit einer neuen Verführung da.


Für die „Carmina Burana” zeigt sich die Bühne als gewaltiges Tableau. Hinten das Orchester, flankiert vom extrastarken Frauen- und Männerchor. In der zweiten Hälfte kommt noch der Kinderchor dazu. Davor ein Tisch, an dem die Solisten zu einem Renaissance-Gelage versammelt sind. Der Bariton Daniel Böhm ist der Fürst. Wenn er zu einer seiner zahlreichen Arien nach vorn tritt, macht sich der Tenor Peter Floch an die Dame in Rot heran. Doch der Fürst stößt ihn zur Seite, schließlich hat er die meisten Arien, in denen er brillieren kann. Der Tenor hat nur eine, die des Schwans, der gerade gebraten wird. Das Ballett veranstaltet dazu einen hektischen Rundtanz.


Die sechs Tänzer und vier Tänzerinnen winden sich unter dem Tisch hervor, umschmeicheln die Tafelnden und lagern sich malerisch zu ihren Füßen. Sie springen nach vorn, als tanzten sie zur Belustigung der Herrschaften. In den Solopartien interagieren sie mit den Sängern. Sehr eindrucksvoll Daniel Böhm mit einem schönen und verwirrten Knaben und die Fürstin Susanne Pemmerl in schmelzendem Sopran mit einem sexuell erwachenden Mädchen. Um Liebe und Sex, Saufgelage und die Wankelmütigkeit der Fortuna geht es in den Liedern. Auf Carl Orffs chorische Power antwortet Stefano Giannetti mit der Power von Gruppenchoreografien.