Erschienen im Ressort Kunst und Kultur am 20.09.2010

Mädchenhandel im Bierdunst

Eine böhmische Nationaloper in Hochfranken: Bedrich Smetanas "Verkaufte Braut" spielt auf dem Hofer
Volksfest.


Hof - Auf der Münchner Theresienwiese ist dieser Tage Volksfest. Im Theater Hof auch. In München
werden bis zu sieben Millionen Maß Oktoberfest-Bier und 500 000 Brathendl feilgeboten. In Hof ein
Backfisch im heiratsfähigen Alter; und Bier schon auch. Bedrich Smetanas tschechische Nationaloper um
die "Verkaufte Braut" ereignet sich statt auf einem böhmischen Dorfplatz in einem hochfränkischen
Festzelt, und eine ortsansässige Brauerei schiebt sich mit Signet und Namenszug derart vielzählig in den
Blick, dass man nur hoffen kann, das Unternehmen habe so unübersehbares Product-Placement durch
Sponsorengelder reichlich vergolten.
Einmal verwandelt sich die bierdunstige Werbefläche der Szenerie (Bühne: Thomas Dörfler). Der
Schanktisch dreht sich - und ein Herren-, besser: Männerklo wird daraus. Da stehen sie dann grätschbeinig
an der Rinne, und in der Kabine treibt einer, der tumbe Wenzel, seltsame Spielchen mit Toilettenpapier.
Alsbald beteiligt sich daran die Schöne des Ortes: Marie, die auf dem Örtchen wirklich nichts zu suchen
hat und um die sich freilich der ganze Handel dreht, verführt den Tölpel zu seiner ersten Zigarette ... So
will alles unterhaltsam drunter und drüber gehen unter Mareike Zimmermanns Regie. Gleichwohl bleibt
ihre Inszenierung, handfest und handwerklich solid, im Ganzen recht blass: ein betulicher Spielzeitauftakt
mit mancherlei Aufgeregtheiten, aber nicht eben aufregend, in bunten Farben, leider ohne Glanz.
An den Aufgeregtheiten beteiligen sich die unter Arn Goerke ausgeruht munteren Symphoniker von der
Ouvertüre an, durch kurz angebundene Heftigkeiten im Tutti ebenso wie durch zartes Sentiment im
himmlischen Holz. Schmissig hält der sich verjüngende Chor als spaßgieriges Volksfestvolk mit
(Einstudierung: Michel Roberge). Ins Kuriose und Kolossale versteigt sich der Humor dort, wo
Kostümbildnerin Barbara Schwarzenberger einen schunkelnden Männerchor als gelb-weiß schäumende
Riesenmaßkrüge verkleidet, gewissermaßen zur Ergänzung des Balletts (Choreografie: Barbara Buser).
Nicht mehr nur Komödie ist das, sondern außerdem Posse und Puppentanz.


Eine blühende Maid soll - dem Anschein nach irgendwann im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts -
den doofen Sprössling eines reichen Bauern heiraten; dabei liebt sie einen armen anderen, ohne zu wissen,
dass der gleichfalls ein Sohn des potenziellen Schwiegervaters ist. Am Ende führt das Glück die Richtigen
zusammen, wie sich das fürs Lustspiel gehört. Die Kernaussage in diesem lautet (wörtlich): "Ein Bier, das
schmeckt fein, aber die Liebe schmeckt besser noch." Gut zu wissen.
Über derlei Tiefsinn hinaus punktet die Aufführung durch zwei wirklich komische Figuren. Die eine heißt
auf der Bühne Kecal und im richtigen Leben Taras Konoshchenko: ein männlich-geschmeidiger Bariton
und Spieler, der die selbstgefällige Aalglätte des Heiratsvermittlers sympathisch mit Eleganz aufwiegt.
Der Sieg - ein Traum
Die andere Lach-Gestalt kommt im Original-Libretto als Hanswurst daher: besagter Wenzel, der düpierte
Anwärter um die "verkaufte Braut" Marie. Karsten Jesgarz nutzt die Differenzierungskunst seines
Komödianten-Talents, um den Stotterer nicht vollends zur Witzfigur zu degradieren. Im dritten Akt - aus
dem Regie und Dramaturgie die entwürdigendsten Stellen strichen - darf er sich für Minuten dem Traum
hingeben, über Ängste, Fremdbestimmungen, Diskriminierung zu obsiegen. Dennoch sitzt er am Ende als
liebenswerter Simpel da, von der Mama dressiert und gestreichelt: ein großes, ein ewiges Kind.
Kindlich, wie immer im Lustspiel, die Liebe. Die widerspenstige Marie und ihr fröhlich schwärmender
Hans ringen um den Ausdruck ihrer reinen Herzen, wenngleich keineswegs immer mit reinem Gesang: In
der (vom Publikum matt beklatschten) Premiere am Freitag mühten sich Ingrid Katzengruber und Chong
Sun, die eine mehr als der andere, mit den Höhen ihrer Stimmen ab. Indes wachsen die Ensembles sich zu
Höhepunkten aus: Da fügen sich die Hauptfiguren mit Annett Tsoungui und Thomas Rettensteiner,
Stefanie Rhaue und Karsten Schröter in wechselnden Besetzungen zu schwebenden Harmonien
zusammen.
So taugt die Produktion letztlich doch zu mehr als nur zu Volksfest und Volksbelustigung. Wer diese
"Verkaufte Braut" besucht, kann sich München sparen: Das hiesige Bier schmeckt ohnehin besser; und
besonders Anhänger einer nikotinhaltigen "Wirtshauskultur" werden sich angezogen fühlen: Das
Rauchverbot gilt im Hofer Festzelt noch nicht.


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