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vom 5. Juli 2010 – Frank Herkommer  

 

 Tutto nel mondo è burla

On parle francais, meint Adorno und hält den Dictionnaire für entbehrlich beim Lesen von Pornographie in fremden Sprachen, weil sich die Worte etwa im Französischen eines de Sade von selbst erschlössen. Parliamo italiano bei Bernd Weikls Inszenierung des Falstaff am Pfalztheater Kaiserslautern. So geistreich und köstlich Lothar Nickels deutsche Übertitelung auch sein mag, der singende Regisseur hat ein Lehrbeispiel für sich selbst erzählende Geschichten auf die Bühne gebracht. Ein hapax legomenon jagt das andere - und jeder versteht auch ohne Lo Zingarelli. Einerseits eine spritzige, keine Sekunde langweilende, die Regeln der stimmlichen Frontausrichtung ohne Hauch von Statik berücksichtigende, eloquente und burleske Commedia dell' arte-Inszenierung, opera buffa mit wunderbaren selbstironischen Brechungen. Wenn der Abgesang auf den Fresser und Säufer, den unskrupulösen Abdomenadoranten und verspäteten Frauenvernascher, den Winkelmoralisten vervierfacht wird: dem naturgegebenen Bassistenbauch ein zweiter übergestülpt, dazu die entsprechende Puppe mit Weiklschem Konterfei und Kunstbauch. Die Kunstfigur psychologisch nicht überzubewerten, wenn der Dicke mit sich selbst tanzt verstärkt er Befindlichkeiten mehr als sie zu reflektieren. Entscheidend ist, frei nach Bauchpfleger Kohl, was unten raus kommt und in die Themse fällt. Ein Gorilla wie aus dem Kultfilm Glücksritter, der den BH aus dem Graben anlegt, FCK-Schal tragende listige Weiber, weil die Manegen im Zirkus der Moderne Kicker bewundern, Kostüme und Frisuren (Bardolfo! Halb Mann, halb Braut), die den urtümlichen Stegreifcharakter bewahren. Um dann, im Hintergrund mit dem Geniebildnis schlechthin, augenblinkernd, mit pittoresker Anmut und Leichtigkeit Shakespearsche Komödie zu inszenieren, mit ihrem Kapriolen schlagenden Humor, Lust am Necken und Foppen und Zwicken. Als träume Zettel weiter, Langohren treten auf und der schwarze Ritter, mit einem Geweih, das ihm zum Verhängnis wird, statt irgend jemandem die Hörner aufsetzen zu können. Gelungen auch der Wechsel zwischen Engführung auf das Geschehen und bedientem Voyeurismus, wenn Chor und Statisten mit uns Maulaffen feilhalten. Weikl bringt all seine Routine, sein gewaltiges Theaterweltwissen ein, gepaart mit dem Wollen, sich einen Jux zu machen, dabei vortrefflich unterstützt von Dramaturg Andreas Bronkalla.

Das farbenprächtige und einfallsreiche Bühnenbild von Thomas Dörfler. Prinzip Drehbühne. Zwischen Fries und Retabel das Cover von Sgt. Pepper's lonely hearts band, angereichert mit lokaler, regionaler und Weltprominenz, dazu die Protagonisten auf, unter und vor der Bühne, burlesk und irre komisch, alleine die Zuordnung eine liebevolle Watschen. Der Globus mit der Aufschrift Tutto nel mondo è burla, die Welt als Possenspiel, global village, mit neugierigen Nachbarn am Fensterladen und mitten drin im Geschehen die morsche Terebinthe, in deren Geweih am Schluss Dickerchen junior allein zuhause ist.

Mit der jungen Absolventin Julia Holewik gibt das Pfalztheater Kaiserslautern einer hochbegabten Kostümbildnerin die Chance, ihre schier unerschöpfliche Phantasie, ihre Empathie und ihre äußerst ansprechende Ästhetik einzubringen. Man weiß gar nicht , wo man zuerst hinschauen möchte. Und wenn sie Tenor Steffen Schantz hauteng einkleidet, erzählt sie uns vom sich abzeichnenden Abdomen an jedem Mann.

Uwe Sandner hat die musikalische Leitung dieser außergewöhnlichen, späten Verdi-Oper. Den Stimmträgern fordert er äußerste Präzision ab, hält das ungeheure Tempo im Graben durch, auch wenn er dadurch vor allem in den Stakkato–Passagen leichte Wackler in Kauf nimmt. Insgesamt ein großartiges Hörvergnügen, technisch auf höchstem Niveau, verspielt und burlesk. Comme il faut...

Die Einzelkritik. Insgesamt ein fabelhaftes Team. Bernd Weikl natürlich der Dominator. Von ungeheurer Präsenz, stimmlich wie mimisch. Ein Falstaff, der sich für immer in das Gedächtnis einbrennt, der die Lachmuskeln bedient und bei aller Schadenfreude auch Mitleid zu erwecken weiß. Ein Ereignis am Pfalztheater. Der Mexikaner Carlos Aguirre in der Rolle des Ford ebenfalls eine Besetzung der Extraklasse. Sein Bariton viril und schmeichelnd in einem, die Stimme elegant und präzisest. Haustenor Steffen Schantz singt mit Bravour und Charme den Fenton. John Pickering, Australier mit vorzüglichem Deutsch, ein Dr. Cajus, der den alternden Galan überzeugend mimt und stimmlich zu gefallen weiß. Alexis Wagner mit verwegenem Zwirbelbart und fester Stimme ein ansprechender Pistola. Mario Henze ein spielwitziger, stimmschöner Bardolfo. Die Frauen: Was für herrliche lustig-listige Weiber! Die energische Alice Ford, vorzüglich gespielt und mit gerade in den hohen Tönen begeisternder Stimme Adelheid Fink. Arlette Meißner, jubelnder Sopran und eine strahlende Nannetta, Yangyu Guo eine beeindruckende Quickly mit gerade in den tiefen Passagen überragenden Mezzostimme. Die Meg Page wird von Wioletta Hebrowska gesungen und gespielt, die sich dem hohen Niveau nahtlos einfügt. Der Chor unter Leitung von Ulrich Nolte zeigt sein Vergnügen an der Regieleistung und spielt und singt sich und das Publikum in burleske Stimmung.

Das Publikum begeistert. Applausfreudig. Einige fremdeln mit ihrem „gewohnten“ Verdi. Zwölf Minuten langer Applaus. Kein Saisonrekord, aber bei Opern schon. Nur einige wenige Standings. Schade! Viele schlossen sich bei der Premierenfeier Falstaff an: Andiamo mangiare!