Helianopolis

„Das Wunder der Heliane“ in Kaiserslautern

Ariel & Guy Wagner

Es brauchte viel Mut und Engagement,

um den Beweis zu erbringen, dass eine

der am meisten diskutierten Opern der

Zwanziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts,

„Das Wunder der Heliane“ des

damals 30-jährigen Erich Wolfgang

Korngold, auch heute noch lebensfähig

ist, ja, dass durch eine intelligente Inszenierung

und eine konsequent aufgebaute

musikalische Gestaltung gerade jetzt

ihre Bedeutung für die Entwicklung der

Oper anerkannt werden kann.

Diesen Unternehmergeist hat das Pfalztheater

Kaiserslautern. Das dürfte eigentlich

nicht erstaunen, denn das Kulturhaus,

ein authentisches und eines mit Seele, bestätigt

immer wieder, dass es eines der innovativsten

ist: Seit längerem hat es sich auch

Werken zugewandt, die während der Nazizeit

als „entartet“ eingestuft, daher verfemt

und nach der Katastrophe 1945 zu Unrecht

in Vergessenheit geraten waren.

Einverstanden, das Libretto der „Heliane“

ist problematisch, und Hans Müller(-

Einigen), dem mit „Violanta“ ein Geniestreich

für Korngold geglückt war, hat

hier zum Teil versagt. Leider kann man dies

nicht anhand der Vorlage des Stückes „Die

Heilige“ des früh verstorbenen Hans Kaltneker

nachweisen, da es verschollen ist.

Das Schwülstige, das Verbrämt-Religiöse

des Werkes bedarf aber schon einer gründlichen

Aufarbeitung, um akzeptiert zu werden.

Die Story: In einem ungenannten Lande,

verbietet ein tyrannischer Herrscher, glücklich

zu sein, weil er die Liebe seiner Frau

Heliane nicht gewinnen kann. Ein Fremder,

eine Art „Messias“, verbreitet eine Liebesbotschaft

und wird dafür zum Tode verurteilt.

Heliane besucht ihn im Gefängnis,

wo ihr Mitleid sich in Liebe wandelt. Sie

zeigt dem Fremden ihr Haar, ihre Füße, und

schließlich ihren nackten Körper. Der

Herrscher sieht sie so und befiehlt ihren

Prozess wegen Ehebruches. Er gibt ihr jedoch

seinen Dolch, um sich damit zu töten;

es ist aber der Fremde, der ihn an sich reißt

und sich ersticht. Der Herrscher beschließt

daraufhin ein Gottesurteil: Sollte Heliane

unschuldig sein, so würde sie den Fremden

ins Leben zurückbringen können. Die Botin,

eine zurückgestoßene Geliebte des

Herrschers, hetzt die Menge auf. Heliane

gesteht ihre Liebe zum Fremden und soll

dafür verbrannt werden. Da erhebt sich der

Tote von der Bahre. Außer sich, stößt der

Herrscher Heliane sein Schwert in die

Brust. Der Fremde aber steigt „eng umschlungen“

mit ihr in den Himmel.

Hier hat Regisseur Johannes Reitmeier,

der zugleich Intendant des Pfalztheaters

ist, kräftig eingegriffen. Seine Voraussetzung

für die Produktion war eine ebenso

einfache wie geniale: „Heliane“ wurde

1927 uraufgeführt, im selben Jahre demnach

wie der Film „Metropolis“ von Fritz

Lang, der eine ganze Reihe von Parallelen

zur Oper aufweist. (Daher auch unser Titel:

„Helianopolis“.)

Reitmeier verlegt die Handlung, die in

überaus eindrucksvollen Bühnenbildern

von Daniel Dvorák, dem Direktor des

Theaters von Brno, Mitproduzent der

Oper, abläuft, in eine ähnlich entmenschlichte

Industriewelt wie „Metropolis“, und

die geknechteten Arbeiter sind mittels der

klugen Kostümierung von Thomas Dörfler

eintönig grau-braun gekleidet: ein Vorläufervolk

der blauen Mao-Ameisen, und sie

reagieren genauso, wie Massen dies auf Befehl

eines Diktators stets tun. Bei der „Auferstehung“

des Fremden kommt es zu einer

kurzen, jubelnden Auflehnung, symbolisiert

durch die farbigen T-Shirts, die die

Versklavten unter ihren Overalls tragen, zumal

sich der Herrscher erschießt. Doch

dann ergreift die Botin die Peitsche.

Auch für die Liebenden gibt es keine

„Himmelfahrt“. Ihre erdachte Auferstehung

führt vor geschlossenem Zwischenvorhang

dazu, dass jeder zu einer Seite der

Bühne davongeht, ehe sich dieser Vorhang

ein letztes Mal hebt und die unter der Fuchtel

der Botin erneut geknechteten Massen

zeigt.

Kein Happyend demnach, dafür aber ein

klarer Bezug zur Geschichte: Auf die Wilhelminische

Unterdrückung und die schöpferische

Freiheit der Weimarer Republik

folgte ab 1933 der Naziterror, dem auch

„Das Wunder der Heliane“ zum Opfer fiel.

Der klugen Deutung ebenbürtig war die

Verwirklichung, mit leider der Ausnahme

von Norbert Schmittberg als Der Fremde,

der weder die Strahlkraft noch die stimmliche

Ausdauer eines Heldentenors hat, um

die mörderische Rolle erfolgreich zu meistern.

Dagegen überzeugte der amerikanische

Bariton Derrick Lawrence durch seine

Bühnenpräsenz, seine füllige Stimme und

klare Diktion, vor allem aber durch das,

was er der Figur des Herrschers als emotionale

Komplexität gab. Die Rolle der Botin,

großartig gestaltet von Sylvia Hablowetz,

war von düsterer Allgegenwart und böser

Energie. Sie wurde zur eindrucksvollen negativen

Gegenspielerin Helianes und ging

als Siegerin aus dem Kampf zwischen Gut

und Böse hervor. Ergreifend war Alexis

Wagner als der Pförtner, eindrucksvoll

Hans-Jörg Bock, als blinder Schwertrichter

in roter Robe, genau wie seine sechs Richterkollegen,

alles hauseigene Sänger, die ihre

Rollen überzeugend gestalteten. Dank

ihrer modulations- und farbenreichen

Stimme und ihrer subtilen Interpretation

gestaltete Sally du Randt eine menschliche,

zugleich keusche und sinnliche Heliane,

die auch die grausamen Höhen, die Korngold

seiner Protagonistin vorschreibt, mühelos

erreichte: bewundernswert.

Homogen war der Chor, bestens einstudiert

von Ulrich Nolte, und überragend

spielte das Orchester des Pfalztheaters.

Sein musikalischer Leiter GMD Uwe Sander,

ein überzeugter Verfechter der „Entarteten“,

schuf eine klar durchdachte Vision

der Korngoldschen Musik, der er in einer

konstant intensiven, dramatischen Deutung

jede Feinheit abgewann. Dabei wurden

seine subtilen Anweisungen begeistert

von den ausgezeichneten Musikern befolgt,

so dass vor allem dank dieser Spitzenleistung

das „Wunder Korngold“ in Kaiserslautern

geschehen konnte.

Diese Ehrenrettung einer großen Oper

dürfte, ja, müsste in die Annalen eingehen

und auch Nachfolger finden: Das Gute

kommt bekanntlich aus der Provinz.

 

 

 

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