DIE RHEINPFALZ — NR. 50         MONTAG, 01. März  2010

 

Sentas wunderbarer Waschsalon

Ein Geniestreich: Regisseur Stefan Tilch erzählt Richard Wagners "Der fliegende Holländer" in Kaiserslautern völlig neu

Wer glaubt, Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ bestens zu kennen,

dem sei ein Besuch im Kaiserslauterer Pfalztheater empfohlen.

Regisseur Stefan Tilch gelingt dort das Kunststück, die Geschichte neu

– und völlig schlüssig – zu erzählen. Diese Inszenierung ist ein Geniestreich!

Harry Kupfer und Claus Guth haben uns den „Holländer“ in Bayreuth als

(Alp-)Traum der Senta erzählt. Schließlich glaubt ja auch niemand

mehr an die Spukgeschichte der Vorlage, über die sich schon Heinrich Heine lustig gemacht hat.

Und Segelschiffe auf der Opernbühne sind ungefähr so out wie Bärenfelle als Siegfried-

Oberbekleidung. Dann doch lieber: Augen zu – und rein in Wagners

Psycho-Kammerspiel namens „Der fliegende Holländer“.

Und das geht ungefähr so: Während der Ouvertüre wachen die vier

Hauptfiguren schweißgebadet eine nach der anderen auf: zunächst der

Holländer, dann Erik, Daland, schließlich Senta. Schlecht geträumt haben

alle, aber was das Publikum in Kaiserslautern erlebt, ist der böse

Traum, mit dem Erik seine eigene Zukunft vorwegnimmt.

Zurückgewiesen von Senta, die auf einen wartet, der noch cooler und

hipper ist als er, auf einen künstlerisch veranlagten, malenden Außenseiter,

der in einem Zelt lebt, sieht sich Erik auch mit einem künftigen

Schwiegervater konfrontiert, dem materielle Werte über alles gehen.

Der Daland seiner Traumwelt ist ein kleinbürgerlicher Spießer, in dessen

Wohnzimmer nicht nur miefige Sofas samt Kissen mit Schlagkante stehen,

sondern die Regale auch überfüllt sind mit Sparschweinen. Geld regiert

die Welt, und ohne Kohle keine Senta.

Also träumt sich Erik sein Leben ganz anders. Abgelegte schöne Frauenkörper

pflastern als sexy Zombies seinen Weg ebenso wie gebrochene

Herzen. Alle müssen sie büßen für Sentas Grausamkeit. Man sieht sich

immer zweimal im Leben, und anstelle eines Holländer-Schiffes ersteht

zu Beginn des Stückes ein protziger Glaspalast neben der Piefbude

Dalands, die allenfalls als Floß durchgehen kann, während das Hochhaus

zumindest wie der Bug eines Luxusdampfers aussieht. Erik ist back in

town. Hipper, cooler, reicher, potenter: Erik ist – der fliegende Holländer.

Also eher umgekehrt: Der Holländer ist ebenso der Traum wie der

Alptraum von Eriks Zukunft. Und im Traum rächt er sich für all

die Zurückweisungen, die er erdulden musste. Als eine Art globaler Super-

Ackermann macht er die kleine norwegische Daland-Bank („norske

bank“ steht über seiner Tür) einfach platt. Der Holländer ist hier tatsächlich

ein Untoter, ein blutsaugender Vampir, der sich von Senta zwar Kaffee

und Schwarzwälderkirschtorte servieren lässt, später aber eher ungerührt

bleibt angesichts ihres zerschmetterten Körpers – als sie mitbekommt,

was für ein ausschweifendes Leben man in dem Glaspalast ihres

Zukünftigen führt, schmeißt sie sich lieber aus dem Fenster. Erik

aber bezieht mit seinem Senta-Gemälde das Chefbüro in dem Hochhaus-

Schiff des Holländers. Wahrscheinlich fängt für Erik/Holländer

im Traum sowieso alles wieder von vorne an. Vielleicht – davon erzählt

die Oper jedoch nichts mehr – haben aber auch alle aus ihren Fehlern gelernt.

Die Idee von Regisseur Tilch funktioniert ganz wunderbar. Und da

Bühnenbildner Thomas Dörfler die Hütte Dalands und das Bürogebäude

des Holländers so gebaut hat, dass man sie auch als Schiffe sehen kann,

muss man den Abend auch gar nicht so verstehen. Man kann auch die

werktreue Handlung herauslesen, wobei dies in Kaiserslautern nur

möglich ist, weil die Technik einen Höchstleistungsjob zu vollbringen

hat. Dass es dann einmal an einer Stelle hakt und der Waschsalon, in

dem Senta wie in ein Gefängnis ihrer kleinbürgerlichen Existenz eingesperrt

ist, zu Beginn des zweiten Bildes nicht gleich hochfahren will – geschenkt!

Es tut dem spannenden Abend keinen Abbruch.

An dem hat auch ein engagiert zu Werke gehendes Pfalztheater-Orchester

unter Till Hass seinen Anteil. So schnörkellos die Regie die Geschichte

erzählt, so kompromisslos agiert auch der Kapellmeister des

Kaiserslauterer Hauses. Das ist ein zupackender, kerniger Wagner-

Klang – lange vor der Erfindung der unendlichen Melodie und des Tristan-

Akkords. Man hört, dass der Bayreuther Meister eben nicht vom Himmel

gefallen ist, sondern viel von Bellini, Rossini, Meyerbeer gelernt hat.

Die kürzeste aller Wagner-Opern wird so zugleich auch zur kürzesten

aller Grand opéras. Und das Musikdrama klopft dennoch schon an.

Gesungen wird auf erstaunlich hohem Niveau, auch vom Pfalztheaterchor,

trotz kleinerer Ungenauigkeiten zu Beginn des dritten Bildes. Dies

gilt sowohl für die Gäste Andreas Macco (Holländer) und Michael

Dries (Daland) – als auch für die hauseigenen Kräfte Adelheid Fink (Senta)

und Steffen Schantz, der als Erik wie ein jüngerer Bruder des Holländers

aussieht (Kostüme: Christl Wein). Ein Extralob verdient sich der Steuermann,

gesungen von Hans-Jörg Bock.

TERMINE

Vorstellungen am 3., 6., 10., 16., 27.

März, 16. April und am 9., 15. Mai.

 

 

 

Der  Neue Merker – Wien  - aus dem Netz am 1. 3. 2010-03-01

KAISERSLAUTERN: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“, 27.2.2010 (Premiere)Diskutabel

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Wagners romantische Oper „Der fliegende Holländer“ zu interpretieren. Man kann sie als Geistergeschichte auf die Bühne bringen, aber auch als Psychogramm oder Gesellschaftstragödie deuten. STEFAN TILCH berücksichtigt in seiner diskutablen Neuinszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern jeden dieser Aspekte. Die Variante Gespenstergeschichte wäre indes entbehrlich gewesen. Wenn zu Beginn Senta als verschleierte Geistererscheinung vom Himmel schwebt - dasselbe Gespenst stürzt sich am Ende auch zu Tode - und das Mädchen sich bei der Ballade ein weißes Laken überstülpt, um unheimlich zu wirken, so machte das eher einen albernen Eindruck. Diese Bilder störten ein wenig das ansonsten gut durchdachte, interessante Konzept.  

Nicht mehr neu ist Tilchs Sicht der Senta. Die Kaufmannstochter, deren reicher, geldgieriger Vater Daland hier auch eine norwegische Bank leitet, ist mit ihrer Umwelt unzufrieden. Sie fühlt sich eingeengt und will heraus aus ihrer trostlosen Umgebung, die von rechtem Kleinbürgertum - trefflicher Ausdruck dafür ist die von Bühnenbildner THOMAS DÖRFLER auf die Bühne gestellte Waschküche - geprägt ist. Sie sehnt einen Bräutigam herbei, der sie befreit. Schon jetzt arbeitet sie verbissen und unbeirrt an seinem Hochzeitsanzug. Sie will aus ihrer Enge erlöst werden, gleichzeitig aber auch selber erlösen. Da kommt ihr der attraktive, gut aussehende, geheimnisvolle Holländer gerade recht. Ihm hängt sie sich voller Mitgefühl an.  

Mit seiner Deutung der Titelfigur betritt der Regisseur dagegen Neuland. Hier ist der Holländer nicht verdammt, weil er einst erfolglos ein Kap umsegeln wollte und deswegen Gott geflucht hat. Vielmehr wurde er von einer Frau ins Verderben gestürzt, wahrscheinlich von derjenigen, deren  Bild er während des ausinszenierten Vorspiels mit Dart-Pfeilen bewirft. Er glaubt nicht mehr an ewige Treue, trotzdem sucht er sie. Wie lange er das schon vergeblich versucht, belegt die immer wieder in kurzen Bildausschnitten erscheinende vampyrhafte Frauenschar, die er in einem großen, länglichen Glasgebäude gefangen hält. Die Befindlichkeiten seiner treulosen Ex-Geliebten sind sehr wechselhaft. Erst hadern sie verzweifelt mit ihrem Schicksal, dann feiern sie eine ausgelassene Sektpartie. Der Holländer ist hier nicht unsterblich, er glaubt nur, es zu sein. Am Ende überlebt er, wird aber von Senta in ein besseres Leben erlöst. An seine Stelle als Opfer einer unerfüllten Liebe tritt Erik, dessen Zeichnung als wenig charismatischer Miniatur-Holländer sich durch das ganze Stück hinzieht. Dieser Gedanke ist nicht einmal so abwegig. Beide Gestalten, Erik und der Holländer, sind sich ähnlich, beide haben ein Bild von ihrer Geliebten, beide begehren ewige Treue. Auch Erik findet sich in der Gesellschaft der Seeleute und Kaufmänner nicht zurecht. Er wird, nur weil er anders ist, von seiner Umwelt schief angesehen und verspottet. Auch er will aus dem System aussteigen. Seine Flucht in die Verdammnis ist somit nur konsequent.

 

Am Pult legte sich TILL HASS mächtig ins Zeug und animierte das gut aufgelegte Orchester zu beherztem, kräftigem Spiel. Indes setzte er oft zu sehr auf reine Lautstärke. Etwas mehr sensible Zwischentöne wären schön gewesen. So fehlte seinem Dirigat eine doch sehr wesentliche Dimension. ANDREAS MACCO ist der absolut beste Holländer, den ich seit langem gehört habe. Der junge Sänger verfügt über einen ungemein kräftigen, gleichzeitig aber auch sehr feinfühligen, wohlklingenden Bariton, den er mit viel Raffinesse und Eleganz einzusetzen wusste. Angesichts des von ihm im Übermaß verströmten Wohlklanges wurde wieder einmal deutlich, dass man auch Wagner mit schöner italienischer Technik singen muss. Das war wahrlich eine Bayreuth-würdige Meisterleistung. Diesem phantastischen Bariton steht die ganz große Karriere bevor. Es wäre interessant, ihn einmal im italienischen Fach zu hören. Ungemein kräftiges und markantes, gut focussiertes Stimmmaterial brachte auch STEFFEN SCHANTZ für den Erik mit. Hier wächst ein ausgezeichneter Heldentenor nach, den diese Zeit so dringend braucht. Auch er erwies sich der größten Häuser als würdig. Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ ADELHEID FINK als Senta. Sie geriert sich als dramatische Sängerin, ohne eine solche zu sein. Gut gelangen ihr die Stellen, wo sie leise und lyrisch singen konnte. Bei den dramatischen Forte-Ausbrüchen verlor ihr an sich nicht unangenehmer Sopran aber an Körperfülle und nahm einen ziemlich harten und schrillen Klang an. Ob sich Frau Fink mit dieser Partie einen Gefallen getan hat, ist zu bezweifeln. Meiner Ansicht nach sollte sie bei den mehr lyrischen Rollen bleiben. Da ist sie besser. Ein solider Daland war MICHAEL DRIES. Laut, aber ohne großen Tiefgang sang HANS-JÖRG BOCK den Steuermann. Solide war SUSANNE SCHIMMACK als Mary. Ein Extralob gebührt dem ungemein intensiv singenden Chor.  

Fazit zum Schluss: Eine durchaus sehenswerte Aufführung. Das diese vor dem zweiten Aufzug einmal aufgrund einer technischen Panne kurz unterbrochen werden musste, war schade.

 

LUDWIG STEINBACH

 

Der Fliegende Holländer- Stefan Tilch inzeniert Wagner am Pfalztheater Kaiserslautern

28.02.2010

Frei von Mätzchen, aktuell und dennoch werktreu- Frank Herkommer beobachtet für opernnetz.de einen Fliegenden Holländer mit schlüssiger Regiearbeit und großer Musik

Der Fliegende Holländer

Erlösung in globalisierten Zeiten

Eine Art Hologramm lässt Senta während der Ouvertüre halb durch den Bühnenraum schweben, halb fallen, Erlösung und Opfer in einer Bewegung. Durchgespielt wird in einem Akt, was der dramaturgischen Anlage sehr entgegen kommt. Nebel wabern, die Ebenen verschwimmen, ein Schiff, geladen bis an den Rand mit Zeit, ein grandioses Eingangsbild, das die Korrelation allen Geschehens, die Ungleichzeitigkeiten der einen Welt bedrückend widerspiegelt.

Rechts oben der erstickende Mief der kleinbürgerlichen Welt, bedrängend verdichtet in der Nippesbude mit säkularem Strahlenkranz einer gerundeten Neonröhre, wo Kapitän Darland die Versorgungsehe seiner Tochter Senta vorbereitet. Auf dem Dach in und unter Norwegermuster und Lappenmütze seine Crew, die im globalisierten Finanzhaifischbecken in anachronistischer Biederkeit auf kleine Fische Jagd macht. Das Biwakzelt links auf dem Deck für Erik, den Aussteiger, mit Doktor Samedi- Hut und Rüschenärmeln, die moderne Variante zum Archetyp Jäger. Halb Tramp, halb Bohémien, die Kunst als Refugium, in der der Traum vom Substantiellen wach gehalten wird. Mit tiefen Zügen aus der Schnapsflasche, dem Bildnis von Senta auf der Staffel, Rahmen Marke Kitschabteilung in deutschen Wohnstuben. Illusionsfördernd, wie ein fehlinterpretierter Händedruck und so vieles andere im Reich der Liebe. Die Bel Etage auf dem Ozeanriesen, der Bezirk des Holländers. Seine Untoten an Bord des Lebensschiffes, das sind die Frauen seiner erotischen Biografie. Die orphische Wiederkehr derselben Püppchen, Sexualität mit Fetischcharakter, morbide und beschädigt. Eine Meisterleistung die phantasievollen Kostüme, für die Christl Weinl zuständig ist.

Auch der Holländer träumt von der Erlösung durch eine wie Senta, von Treue, die er liebt und hasst, wenn seine Wurfpfeile auf das unvergleichlich schöne Bildnis treffen. Der Holländer mit nackter Brust, Seidenanzug, hermetischen Symbolen auf Haut und Amulett. Und unten im Rumpf der globalisierten Arbeitswelt die Wäscherinnen aus aller Welt, mitten drin Senta, seelenverwandt einer Seeräuberjenny, die ihre jugendliche Finalität und ihre gnostischen Errettende- Gerettete -Phantasien pflegt und auf den Hochzeitssmoking über der Schneiderpuppe projiziert.

Ein technisch perfektes, inhaltlich klug durchdachtes, ästhetisch ansprechendes Bühnenbild, für das Thomas Dörfler verantwortlich zeichnet. Ein Dreh, schon zeigt sich in der herausstellenden Vereinzelung die Disparatheit in der globalisierten Welt. Das Schiff des Holländers, auf diese Weise isoliert herausgestellt, deutungsoffen, je nach Lichteinfall ein Twin Tower, Mainhatten, Parteizentrale in Berlin. Die Herrschaft der Systeme über den Menschen wird Architektur. Regisseur Stefan Tilch, Intendant am Landestheater Niederbayern, gelingt es, die Geschichte sich selbst erzählen zu lassen, auf spätpubertäre Mätzchen zu verzichten, Szenen durch geschickte Personenführung zu verdichten, die verschiedenen Strömungen der Rezeptionsgeschichte aufzunehmen, zu aktualisieren, ohne zu banalisieren oder die Geschichte als Vehikel eigener Botschaften zu missbrauchen und zu überladen. Eine sehenswerte, schlüssige, an Überraschungsmomenten reiche Inszenierung. Johannes Reitmeier, bis vor acht Jahren Vorgänger Tilchs in der Intendanz des Drei- Städtetheaters, hat gut daran getan, seinen Nachfolger im Amt nach einer Anstandsfrist mit der Regie am Pfalztheater zu betrauen.

Das Orchester unter Leitung von Till Hass wächst einmal mehr über sich hinaus. Große Wagnermusik mit Gänsehauteffekt. Hass verzichtet darauf, einen Sängerstreit mit dem Orchester zu provozieren, ohne dass die prometheische Musik das geringste an Dynamik verlöre. Die Chöre, einstudiert von Ulrich Nolte, leisten Großartiges. Und Erstaunliches, gemessen an ihrer Größe.

 

Mit Bayreuthsänger Andreas Macco in der Rolle des Holländers gelingt Tilch eine Idealbesetzung. Die elegante Stimme vereint jugendliche Dynamik, erotische Färbung und seelische Reife. Unprätentiös und darum umso überzeugender im Spiel. Überragend auch die beiden Haussänger, Sopranistin Adelheid Fink und Tenor Steffen Schanz. Ihre Senta mit jugendlicher Finalität und utopischem Überschuss. Die Stimme absolut reif und geeignet für die großen Wagnerpartien, weit ausgreifend und anrührend in einem. Einfühlsam und schwebend in den Piani, dramatisch im Mezzoforte. Steffen Schanz als Erik, die Tenorstimme ebenso jubelnd wie kraftvoll. Ein Sänger mit ungeheurem Potential. Michael Dries überzeugt in der Rolle des Dalan. Ein heillos naiver, unzeitgemäßer Familienkapitän, der einen patriarchalisch geprägten Treuebegriff pflegt. Die schöne und gepflegte Stimme dezent, in kleinbürgerlicher Zurückhaltung einsetzend. Ansprechend und charmant füllt Mezzosopranistin Susanne Schimmack die kleine Partie der Mary aus. Mit begeisternder Textverständlichkeit und Verve singt Hans- Jörg Bock mit strahlendem Tenor den Steuermann.

Komm, du Verfluchter

Was wie eine Soap-Opera beginnt, entwickelt sich am Pfalztheater dann glücklicherweise nicht zur selbigen: Wagners "Holländer" gerät nicht allzu plakativ. Zu überzeugen vermögen vor allem die Sänger.

Von SZ-Mitarbeiterin Leslie Dennert

 


Kaiserslautern. Alle sieben Jahre kommt er an Land. Sein Fluch verdammt ihn dazu, bis zum jüngsten Tag durch die Meere zu segeln, es sei denn, er findet eine Frau, die ihm ewige Treue schwört - so erzählt es die Legende vom fliegenden Holländer. Am Samstag gelang dem Pfalztheater Kaiserslautern eine gelungene Premiere von Richard Wagners gleichnamiger romantischer Oper. Etwas TV-Realismus, eine symbolhafte Ausstattung, ein harmonisch abgestimmtes Sängerteam und eine bisweilen einfallsreiche Inszenierung sorgten für Opern-Kurzweiligkeit.

Regisseur Stefan Tilch macht die Ouvertüre zum Vorspann - gleich dem Intro einer Soap-Opera im Vorabendprogramm. Ganz plakativ stellt er diejenigen vor, deren Geschicke sich im Folgenden kreuzen werden. Da ist zum einem Daland, Sentas Vater: Als Vertreter der kleinbürgerlichen Welt sitzt der Seefahrer in seiner beengten Kajüte inmitten von Sparschweinen und träumt vom großen Reichtum. Derweil krabbelt Naturbursche Erik aus seinem Zelt und denkt sehnsüchtig an Senta. Diese kümmert sich eine Etage tiefer eifrig um einen neuen Maßanzug - für den geheimnisvollen Fremden, der über allen thront: langhaarig, mit nackten Oberkörper, großem Tattoo, offenem Sakko, Zigarette. Er wirkt unnahbar, fertig, abgebrüht. An Erlösung glaubt dieser Holländer nicht mehr.

Im Laufe des Stückes werden diese Ebenen seziert- in wechselnden Bühnenbildern. Aus dem Penthouse des Holländers etwa wird das Schiff, das sich bildgewaltig als monströser Koloss auf die Bühne schiebt. Bühnenbildner Thomas Dörfler spielt klug mit Symbolen, Details und Andeutungen. Mit einer Seifenoper hat dieser Holländer nichts zu tun. Mit sonorer, raumfüllender Stimme gibt Andreas Macco den geheimnisvollen Fremden - mal verwegen und unnahbar mit Zuhältergehabe, mal sensibel. Wunderbar agil und mit warmem emotionalen Timbre auch Steffen Schantz (Erik) und Michael Dries (Daland). Adelheid Fink intoniert als Senta sauber und treffsicher und spielt mit Hingabe das junge Mädchen auf seinem Weg zur Frau. Ihr Sopran ist hart, aber bestimmt, wenngleich er noch etwas mehr Dramatik zeigen könnte.

Der Abend hätte stimmiger geraten können, hätte das Orchester (Leitung: Till Hass) die dramatischen wagnerischen Spannungsbögen dynamischer genommen: Hier und da könnten Akzente schärfer sein, die Tempi langsamer, die Blechbläser sauberer einsetzen.

 

Weitere Aufführungen im März: 3., 6., 10., 16., 27. März.

Landshuter Woche vom 3.3.2010 

 

...Doch gleich vorab: Stefan Tilch segelt auf Erfolgskurs. Er nutzt alle Möglichkeiten, die ihm die im Vergleich zum Stadttheater riesige Pfalztheaterbühne bietet. Er inszeniert ein schlüssiges und dichtes Psychogramm menschlicher Tragik rund um das Thema Erlösung und bereichert die bekannte Story um den einen oder anderen neuen Aspekt. Thomas Dörfler hat Tilch dazu ein in seiner Ästhetik faszinierendes Bühnenbild gestaltet, das wie die Inszenierung und die kongenialen Kostüme von Christl Wein durch eine ganz besondere Bildsprache besticht und die wirkliche Dimension mitunter erst auf den zweiten Blick preisgibt. Bestes Beispiel dafür ist das Schiff des Holländers, das vordergründig betrachtet als imposanter Luxus-Kreuzer mit durchsichtigen Glasfassaden daherkommt, hinter diesen Fassaden aber jene unzähligen Frauen beherbergt, die den Holländer im Lauf der Jahrhunderte nicht von seinem Fluch erlösen konnten und die ihm nun wie Untote folgen. Tilchs Holländer hat etwas von dem geheimnisvollen Vampir Edward aus der „Twilight“-Saga. Blass, mysteriös und auf eine unheimliche Weise doch irgendwie anziehend. Da ist nichts vom düsteren und dämonischen Holländer-Klischee, das wir aus so vielen Inszenierungen kennen. Ganz große Oper ist auch die Schlussszene, die Tilch mit Gänsehautgarantie inszeniert hat. Nur der Holländer und die tote Senta – die sich Minuten vorher geopfert hat – auf der leeren Bühne, quasi inmitten des endlosen Ozeans der Gefühle. In Kombination mit Wagners herzzerreißender Musik – ein überwältigender Moment.
Gesanglich ist die Produktion auf bemerkenswert hohem Niveau, insbesondere die wunderbare Adelheid Fink – die wir auch noch aus ihrem Engagement am Landshuter Stadttheater kennen – verkörpert die durchaus heikle Partie der Senta mit stimmlicher Brillanz, keinerlei Schärfen und großer Hingabe. Ganz hervorragend auch der stimmgewaltige und ausdrucksstarke Holländer von Andreas Macco, der in den letzten Jahren auch schon in Bayreuth aufgetreten ist.
Steffen Schantz als Erik ist eine echte Tenorhoffnung, von ihm dürfte in Zukunft ganz sicher noch zu hören sein und Hans-Jörg Bock (Steuermann) und Susanne Schimmack (Mary) singen auf einem Niveau, das auch für eine Staatsoper locker reichen würde. Einzig Michael Dries als Daland fällt mit einer durchschnittlichen Leistung ab, diese Partie hätte deutlich mehr hergegeben.
Till Hass dirigierte sehr dynamisch, leidenschaftlich und intensiv und führte das Orchester, die Solisten und den tollen Chor auf höchstem Niveau durch die Premiere. Am Ende lang anhaltende Ovationen für das Kaiserslauterer Ensemble und Stefan Tilch mit seinem Team. Diese Produktion kann man mit Fug und Recht als ganz großen Wurf bezeichnen. Ein Trip nach Kaiserslautern ist uneingeschränkt zu empfehlen, denn Stefan Tilchs Regie ist ein Musterbeispiel dafür, dass man Oper modern, spannend und durchaus auch in einer ungewohnten Bildsprache inszenieren kann – und das Werk dabei nicht zertrümmern muss.

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