Trierischer Volksfreund

Verdi ohne Weichspüler

 

Dieter Lintz

 

Mit einer Mischung aus Bangen und Vorfreude hatte das Trierer Theater dem Saisonstart entgegengesehen - pflegt doch "Rigoletto"-Regisseur Bruno Berger-Gorski das Publikum zu fordern. Am Ende gab es einhelligen Publikums-Jubel für Sänger, Orchester - und Regie.

 

Trier. Eins vornweg: Das ist kein netter Opernabend. Und das ist gut so. Denn "Rigoletto" ist auch keine nette Oper. Es geht um Macht, Gewalt, Zynismus, Tragik, Tod. Nur dass die von Verdi beschriebene Realität in vielen Aufführungen hinter einer folkloristischen Patina verschwunden ist.
In Trier stößt Regisseur Bruno Berger-Gorski das Publikum mit der Nase auf die Erkenntnis, dass die Geschichte, die da erzählt wird, gar nicht so antiquiert ist. Das ausschweifende Fest des Herzogs von Mantua heißt heute Bunga-Bunga-Party, Rigolettos daheim eingesperrte Tochter Gilda trägt Kopftuch, das katastrophale Ende spielt am Rand des Straßenstrichs.

 

Durchdachte Personenporträts


Mit solchen aktuellen Versatzstücken zu arbeiten, kann in die Hose gehen. Und einige wenige Male schrammt die Inszenierung nur knapp am Billig-Plakativen vorbei. Aber sie kippt nicht. Und zwar deshalb, weil es in dem aktualisierten Ambiente ausgesprochen sorgfältige, durchdachte, differenzierte Personenporträts gibt. Keine der Hauptfiguren ist eindimensional.
Den Herzog spielt Svetislav Stojanovic einerseits als verwöhntes Bürschlein aus reichem Haus, das gewohnt ist, sich alles kaufen zu können. Aber eben auch als des Lotterlebens überdrüssigen, fast verzweifelt nach Liebe suchenden jungen Mann. Nicht von ungefähr ist sein Höhepunkt die Arie "Parmi veder le lagrime", die Stojanovic im Gegensatz zu vielen Kollegen als das erkennen lässt, was es ist: eines der schönsten, authentischsten Liebeslieder der Opern-Geschichte.
Jennifer Riedels Gilda-Debüt zeigt eine immens talentierte junge Sängerin, die technische Herausforderungen wie die "Caro nome"-Arie erstaunlich sicher beherrscht, vor allem aber in den Szenen mit Rigoletto tolle sängerdarstellerische Akzente setzt. Da steckt die Aufmüpfigkeit gegen den dominanten Vater drin, die Entschlossenheit, ihre erste Liebe zu verteidigen. Sie kann unter diesen Umständen nicht überleben, aber sie ist keineswegs nur ein wehrloses Opfer. Und das hört man ihr auch an.
Jacek Strauchs umwerfend starker Rigoletto ist ein alter, seines Jobs unendlich müder Hofnarr. Aber er kann auch ein mächtiger, angsteinflößender, autoritärer Kleiderschrank sein. Bühnenpräsenz und Stimmkraft von Strauch füllen den Raum in einer Weise, die in den letzten Jahren in Trier allenfalls bei den Gastspielen von Franz Grundheber zu hören war. Wobei Strauch weniger durch Eleganz als durch Wucht und Emotion begeistert - ohne jemals brüllen zu müssen.
Wucht und Emotion: Da trifft sich die Idee der Inszenierung punktgenau mit der Einstellung, die Victor Puhl seinem Orchester eingeimpft hat. Ein Verdi ohne Weichspüler, hart, bisweilen brutal. Das trifft den Nerv des Zuhörers, schließt ein gemütliches Zurücklehnen aus. Die verkommene, frauenfeindliche, unmenschliche Welt der herzoglichen Entourage findet sich in der musikalischen Charakterzeichnung der Philharmoniker packend wieder. Und mancher Akzent trifft wie ein Peitschenschlag.
An diesem Abend passt einfach alles: Das geniale, detailfreudige Bühnenbild von Thomas Dörfler, ein Mehr-Etagen-Haus vom illustren Sonnendach bis zum finsteren Müllcontainer-Keller, das die unterschiedlichen Spielebenen so prägnant unterscheidet wie es sie verbindet. Gera Grafs fantastische Kostüme mit ihrem Dreh ins Surreale, der verhindert, dass die Realitätsnähe der Regie in simplen Naturalismus mündet.
Alle lassen sich anstecken: Der Chor, der immer mutiger und einsatzfreudiger wird, was das Agieren auf der Bühne angeht und der mit Angela Pavonet, Silvia Lefringhausen und Hak-Ill Kim die Nebenrollen gut besetzt. Laszlo Lukacs, Alexander Trauth, Amadeu Tasca und Luis Lay, die auch den kleineren Figuren Prägnanz und szenische Klarheit verleihen. Und nicht zuletzt Kristina Stanek und Hiroshi Matsui als Rotlicht-Geschwisterpaar, die nahtlos zur Glanzleistung der drei Hauptakteure aufschließen.